"A black heart will only find beauty in darkness"
(Dissection 1995)
Ensiferum - Thalassic
Eckdaten:
Stil: Viking/Folk Metal
Land: Finnland
Jahr: 2020
Label: Metal Blade
Auf Album Nr. 8 gibt es ein paar Neuerungen zu verzeichnen. Am auffälligsten ist natürlich der neue fünfte Mann, der auf den Namen Pekka Montin hört und als Keyboarder sowie Clean-Sänger firmiert. Außerdem haben ENSIFERUM zum ersten Mal ein echtes Konzeptalbum geschrieben. Titel, Cover und Songnamen deuten es an - es geht um das Meer samt seinen Mythen und Geschichten. Obwohl sich dieser rote Faden durch das gesamte Album zieht, hat jeder Einzelsong seinen eigenen Charakter. Daher lohnt sich hier eine Track-by-Track Analyse. Los geht's.
"Seafarer's Dream" ist ein opulentes, stimmungsvolles Intro, das mit seinen maritimen Soundeffekten und Melodien adäquat in die Thematik einführt.
Das klischeehaft betitelte "Rum, Women, Victory" ist dann direkt der repräsentative Knaller zum Einstieg. Gnadenloses Uptempo-Drumming, Flitzefinger auf den Griffbrettern und ein Refrain, der sofort zum Mitgröhlen einlädt. ENSIFERUM pur. Textlich geht es ausdrücklich nicht um Piraten, sondern um die Royal Navy. Man beachte auch das Community-Video, das ich unten eingebettet habe. Eine grandiose Idee und ein zeitgeschichtliches Dokument aus der Corona-Krise.
Weiter geht es mit "Andromeda", betitelt nach einer Figur aus der griechischen Mythologie. Der Song lebt vom Wechselspiel der beiden Sänger und von seinen umwerfenden, Folk-lastigen Melodien, die Erinnerungen an "Token of Time" vom Debüt wecken. Toller Song, zu dem es ebenfalls ein sehenswertes Video gibt.
In "The Defence of the Sampo" kann Pekka sich als hauptamtlicher Leadsänger austoben, und es ist ausdrücklich nicht seine Schuld, dass der Song für mich der einzige Schwachpunkt auf dem Album ist. Das Grundtempo ist mir etwas zu zahm, und die Komposition wirkt zerfahren und unfertig. Auffällig sind noch die Western-Parts im "Iron"-Stil. Nett, aber das geht besser.
Mit "Run from the Crushing Tide" finden ENSIFERUM aber schnell wieder ins richtige Fahrwasser zurück. Geradeaus, hochmelodisch, gespickt mit überraschendem MAIDEN-Galopp und gekrönt von einem alles überragenden Refrain ist dies mein persönliches Albumhighlight. Macht mega-Bock dieser Song!
"For Sirens" ist ein weiterer Midtempo-Track mit schönen Ohrwurmmelodien.
"One with the Sea" baut auf einem getragenen BATHORY-Riff auf und entwickelt sich zu einer melancholischen Ballade, in der Pekka seine gesamte stimmliche Bandbreite präsentieren kann. Außerdem kommen hier diverse zusätzliche Instrumente wie auf "Unsung Heroes" zum Einsatz.
Das komplette Kontrastprogramm ist das folgende "Midsummer Magic" - sowohl der fröhlichste als auch der folkigste Song, inklusive einiger Textzeilen auf Finnisch samt "Lai, lai, lai" und "Hu, ha, hei!" zum Mitmachen (falls wir denn irgendwann wieder mal auf Konzerte gehen dürfen). Das mag man albern finden, ist aber einfach nur vertonte nordische Lebensfreude.
Einen würdigen Abschluss bildet "Cold Northland (Väinämöinen Part III)", ein epischer Longtrack mit Breitwand-Orchestrierung und genialen Spannungsbögen. ___
Als ersten Bonus-Track haben wir noch "Merille Lahteva", ein bisschen Humppa als Untermalung eines Spoken-Word-Texts, wiederum auf Finnisch.
Der zweite Bonus-Track "I'll Stay by your Side" ist eine Cover-Version von einem dänischen Teenager-Trio namens "THE LOLLIPOPS" aus den 60ern. Im Original eine Pop-Nummer im BEATLES-Stil, von ENSIFERUM interpretiert als MANOWAR-Verbeugung. Muss man auch erstmal schaffen.
Wie ist nun das Gesamtpaket zu bewerten? ENSIFERUM haben tatsächlich das Kunststück fertig gebracht, sich zu einem gewissen Grad neu zu erfinden und dabei trotzdem ihrem Stil 100%ig treu zu bleiben. Mehrfach gibt es Referenzen zu den älteren Glanztaten der Band, dabei mehr Folk, aber auch mehr klassischen Heavy Metal. Gleichzeitig ist das Songwriting knackiger und frischer denn je, und man kann gar nicht oft genug hervorheben, welche Bereicherung Pekka Montin für die Band darstellt. Auf der Suche nach einem Keyboarder, der nebenbei ein paar Backing-Vocals beisteuern kann, hat man stattdessen nun einen echten zweiten Leadsänger gefunden, der zufälligerweise auch Keyboard spielt. Was für ein Glücksgriff! Wenn der Mann jetzt auch noch komponieren darf ... Dieser Gedanke ist dann auch das einzige, was mich vom Zücken einer höheren Note abhält: Man erahnt, dass ENSIFERUM ihr kreatives Potential noch nicht gänzlich ausgeschöpft haben.